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DOUCHEBAGS

Veröffentlicht am 14.12.2013

In Italien gibt es eine Tradition, die ich bis vor kurzem nie verstanden habe: alte Männer sitzen auf Stühlen vor den Türen der Häuer, blicken auf die Vorbeikommenden gutmütig und lächelnd, manchmal wissend, und sie sagen nichts.


In Italien gibt es eine Tradition, die ich bis vor kurzem nie verstanden habe: alte Männer sitzen auf Stühlen vor den Türen der Häuer, blicken auf die Vorbeikommenden gutmütig und lächelnd, manchmal wissend, und sie sagen nichts.

 

 

 

Manchmal finden sie sich zusammen, spielen Karten und lassen die Zeit und die Dinge an sich vorbeiziehen. Es erscheint für den zielstrebigen Nordeuropäer unverständlich und die Erklärungen, die wir haben, sind nordeuropäisch. Eben solche, die aus dem Kampf gegen Kälte, Dunkelheit und dem schwermütigen Blick auf Berge und sonstige Widrigkeiten der Natur kommen: sie, die alten Männer, sitzen da eben, weil sie sonst nichts zu tun haben.

In letzter Zeit verbringe ich meine Wochenenden wieder in einem Fitness-Studio. Dort genieße ich es, meine alten Knochen zu spüren und bin jedes Mal überrascht, wie früh ich dann wieder aufhöre mit den Übungen. Die Bekannten von einst sind längst verschwunden und eine neue Generation von Besessenen ist nachgewachsen, die sich austauschen über Ziele, Pläne, Tagespensum und ich stelle fest: es hat sich nichts geändert. Nur die mir bekannten Jungs von früher: sie haben ihre Besessenheit verloren und sitzen irgendwo herum und sind trotz all der Pläne den Weg allen Fleisches gegangen: wohl auf das Fernseh-Sofa. Auf dem Weg zurück komme ich an zwei Cafés vorbei, wobei ich fast ausschließlich nur noch bei Magaly einkehre. Das andere Café liegt genau gegenüber und dort sitzt man an kleinen Bistrot-Tischchen und trinkt Latte oder Prosecco an Samstagvormittagen. Bei Magaly gibt es keine Karte und auch keinen Latte, man setzt sich hin und sagt ihr, was man haben will. Während gegenüber es passieren kann, dass man einen Zuschlag bezahlt, wenn man bei Milch-Kaffee die Milch weglässt, stellt sich Magaly am Ende hin und fragt: "Was hattest Du jetzt? Ich glaube,  das waren 4 Getränke, oder? Nee, machen wir 3. Sechs Euro."

Ich weiß nicht, ob das eine geheime Geschäftspolitik ist oder ob sie mich nur mag, denn immerhin haben wir eine Gemeinsamkeit festgestellt: wir sind beide nicht gebürtig in dieser Stadt und deshalb tritt das Befremdliche umso mehr zu Tage. Sie ist Französin mit algerischem Hintergrund und so haben wir immer ein Thema, in den müden Stunden um die Mittagszeit, wenn der Rest der Stadt die letzten Vorbereitungen für die geplanten Spontan-Erlebnisse des Wochenendes trifft.

"Heute bin ich müde, wir waren bis fünf feiern gestern, also: bis vorhin. Wie viel willst Du zahlen?"
"Fünf? Wo kann man denn bis fünf hingehen hier in dieser Stadt?"

Es stellte sich heraus, dass sie im Corso waren, dann mit Freunden zu Hause nachgelegt hatten. Corso, das war früher einmal der Italiener-Treff in dieser Stadt, vor vielen Jahren. Abgelegen, am Ende der Maxstrasse, sammelte man sich dort am Sonntagmorgen, um wie die alten Männer in der Heimat alles an sich vorbeiziehen zu lassen. Aber das schien sich erledigt zu haben, denn die Maxstrasse ist zur Flaniermeile und zum Ballermann mutiert.

"Eigentlich kann man nichts machen hier, und schon gar nicht mehr nach ein Uhr. Es sind nur noch Douchebags unterwegs."

"Dutch...was? Bags oder Backs?"

"Häh. Ähmm, keine Ahnung, aber google doch mal. Douchebags, die Typen eben mit Vokuhila."

"Was? Ich sehe schon: ich weiß, warum ich hierher komme, ich lerne jede Woche was dazu?"

"Naja, das sind die Typen, die sind immer gebräunt, weißt Du. Die brauchen sicher zwei Stunden vor dem Spiegel, bevor sie ausgehen. Dann die schleimigen Klamotten, und immer müssen sie posen. So die Checker eben."

Sie legte einen Arm seitlich hoch, den anderen halb auf Hüfthöhe und drehte den Kopf in die andere Richtung, während sie eben mit mir sprach.

"Siehst Du: so geht das. Posen. Und dann diese Frisuren: hinten lang und vorne kurz geschnitten. Widerlich. Und dumm wie Brot."

Das kam mir alles sehr bekannt vor. Früher, da gab es genau dasselbe, nur hieß er bei uns der Ibiza-Typ. Sie fuhren gerne mit Cabrios durch die Maxstraße und an der Anhängerkupplung konnte man erkennen: unter der Woche fahren sie noch Heu durch die Gegend, während der Vater den Heuschober zum Wohnhaus mit Dachboden ausbaut.

"Lass mich raten: und hinterher treffen sie sich alle im Tropicana und sie stehen mit ihren Lederkrawatten immer an der Frauentoilette und quatschen jede an?"

"Tropicana? Sagt mir nichts. Hmmm, Lederkrawatte? Was ist das denn?"

"Na: die schmalen Krawatten eben. Aus Leder. Die Typen gab’s zu meiner Zeit schon. Weißt Du, früher gab’s hier nicht soviel zum Ausgehen. Am Ende sind DIE eben ins Tropicana und wir sind woanders einfach nur abgestürzt."

"Ja, nee: die laufen die Maxstrasse auf und ab und quatschen wirklich jede an. Nicht auszuhalten. Wir sind dann eben zu Hause ..."

"Abgestürzt?"

 Sie lächelte, und in diesem Moment wusste ich: für dieses Lächeln würde ich alles tun. Aber es war ein anders Gefühl als früher, ich habe mich einfach gefreut, dass es so etwas wie einen schönen Menschen gibt, der es schafft, sich allen Eitelkeiten zu entziehen. Es lag Wärme in ihrem Blick und auf einmal fühlte ich mich wie der gute Onkel, der stolz auf seine Neffen ist.

"Ich lerne aber auch etwas von Dir. Lederkrawatten also? Dann werden die wohl bald auch wieder da sein. Sobald ich die erste sehe, rufe ich Dich an."

"Ich bestehe darauf."

Ich lehnte mich zurück und sah zu, wie die Leute vorbei zogen und dachte mir: ich bin zu Hause. Endlich.

Und während ich an Lederkrawatten dachte, konnte ich mich eines seltsamen Grinsens nicht erwehren. Was für einen Anblick ich wohl bot: alleine auf einem Stuhl an der Straße, der gute alte Onkel und dabei vor sich hin grinsend?

Alles ist gut so, wie es ist: es gibt nichts Neues unter der Sonne.